Erfolgsstrategie statt Imageproblem
Mit jedem Fehler einen Schritt in Richtung Erfolg

Stellen Sie sich vor, Sie sind in einer Verfassung, in der es unmöglich wäre, zu verlieren. Alles gelingt Ihnen. Jeder Schritt, den Sie machen, ist ein Erfolg. Was würden Sie tun?
Es ist ein schöner Gedanke, aber lassen Sie uns ehrlich sein, er ist Ideologie. Nicht scheitern zu können und nur erfolgreich zu sein – ein schönes, aber unrealistisches Gedankenspiel. Dabei träumen viele Menschen genau davon, erfolgreich zu sein, ohne auf dem Weg dorthin zu scheitern. Sie haben grosse Ziele und Pläne für ihr Leben, welche die meisten nie erreichen. Denn es kam etwas dazwischen. Der Misserfolg. Das Einzige, was zwischen den meisten Menschen und ihren grossen Träumen steht, ist die Angst davor, sie nicht zu erreichen. Ich kann das nicht verstehen, denn ob wir es gar nicht erst versuchen oder es versuchen und scheitern – das Ergebnis ist doch dasselbe. Wir verlieren nichts, wir können letztlich nur gewinnen. Jeder von uns hat die Fähigkeiten und das Talent erfolgreich zu sein, aber haben Sie auch den Mut zu scheitern?
Misserfolg gehört zum Erfolg, wie die Luft zum Atmen
Kaum jemand schätzt Situationen, in denen Dinge einfach mal schieflaufen oder wir es schlicht und einfach versauen. Wer gesteht sich schon gerne ein, an einer Aufgabe gescheitert zu sein? Oder eine falsche Entscheidung getroffen zu haben? Ein ganzes Projekt vor die Wand gefahren zu haben? Sicherlich die wenigsten. Die meisten Menschen vergessen dabei nur einen entscheidenden Punkt: Wann immer wir etwas beginnen, können wir auch verlieren. Und das ist grossartig! Ja, Sie haben richtig gelesen, es ist grossartig! Es kommt so oft vor, dass Fehlschlüsse zu grossen Entdeckungen führen. Wer an seinen Niederlagen wachsen möchte, der muss richtig mit ihnen umgehen.
Was wir brauchen, ist ein neues Bewusstsein für unser eigenes Scheitern. Schauen Sie sich die Fehlertoleranz in vielen europäischen Unternehmen einmal an: Null! Es gibt keine Fehlertoleranz! Taucht doch mal einer auf, wird er vertuscht oder die Verantwortung dafür an andere abgegeben. Das hat zur Folge, dass immer wieder die gleichen Fehler begangen oder sie erst dann wahrgenommen werden, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Das ist schade, denn jedes Unternehmen und jeder Mensch kann sich durch Fehler auf eine nächsthöhere Stufe stellen. Gelingen kann das aber nur, wenn Fehler erlaubt sind. Vielmehr noch, es kann nur gelingen, wenn Fehler als wertvoll erachtet werden. Dabei werden wir zu Beginn unseres Lebens schon mit dem richtigen Umgang mit Niederlagen und Misserfolg gross, vergessen diesen Umgang aber je älter wir werden.
Wie haben Sie das Laufen gelernt?
Werfen wir doch einmal einen Blick darauf, wie wir als kleines Kind das Laufen gelernt haben. Wir haben versucht, zaghaft unsere ersten Schritte zu gehen. Ein bis zwei Schritte und wir sind über unsere kleinen Beinchen gestolpert, hingefallen und haben gelacht. Damals wussten wir noch nicht, dass wir gerade bei unserem Versuch zu laufen gescheitert sind. Es war uns egal, dass wir hingefallen sind. Wir sind einfach aufgestanden und haben es noch einmal versucht. Unterstützung bekamen wir von unseren Eltern. Beide
lachten und fanden es total süss, dass wir gerade gestolpert sind. Wir wurden umarmt und man sprach uns Mut zu, es weiter zu versuchen. Das Ziel: Jedes Mal einen kleinen Schritt mehr laufen. Bereits in unserem ersten Lebensjahr kommen wir mit dem Scheitern in Berührung. Nur wissen wir da noch nicht, dass es später in der Gesellschaft etwas Schlimmes und ein Tabu-Thema sein wird. Dabei haben wir haben bei unseren ersten Laufversuchen eine wichtige Lektion gelernt: Fallen und wieder aufstehen. Eine Fähigkeit, die wir unser ganzes Leben brauchen. Eine Fähigkeit, die ein stückweit über unseren Lebensweg entscheiden wird. Eine Fähigkeit, die viele von uns im ersten Lebensdrittel wieder ablegen.
Wir lernen erfolgreich zu sein, aber wir lernen nicht zu scheitern
Misserfolge sind in unserem Leben allgegenwärtig. Sie begleiten uns jeden Tag und sind fester Bestandteil unseres Alltags, beruflich wie privat. Schätzungen zufolge macht jeder Mensch zwei bis fünf Fehler pro Stunde. Leider vergessen wir mit der Zeit die früh gelernte Lektion «fallen und wieder aufstehen». Stattdessen bleiben wir einfach liegen oder unternehmen alles in unserer Macht Stehende, gar nicht erst zu fallen. Und warum? Weil uns die Gesellschaft in jungen Jahren bereits lehrt, dass Misserfolg etwas Schlimmes ist. Wer zu viele Fehler macht, wird schnell von unserer Gesellschaft abgestossen. Das Ganze fängt in der Schule schon an. Wir werden von klein auf immer nur bewertet und benotet. Anstatt sich einfach mal über die Erkenntnis zu freuen, dass wir auf dem falschen Weg sind und somit die Chance haben, einen besseren zu wählen. Stattdessen werden wir dafür mit einer schlechten Note bestraft.
Wir lernen gute Noten zu schreiben und erfolgreich zu sein, aber wir lernen nicht, zu scheitern. Weder in der Schule, noch im Studium oder der Ausbildung und schon gar nicht im Berufsleben. Das führt letztlich dazu, dass uns unsere irrationalen Gedanken leiden lassen, sobald etwas schiefläuft. Als Reaktion darauf geben wir dann unsere Vorhaben auf und retten uns vor dem Scheitern, indem wir unsere Ziele begraben.
Zurück zum Mindset eines einjährigen Kindes
Fallen wir als Einjähriger bei unseren ersten Laufversuchen hin, erhalten wir die Botschaft, dass es völlig okay ist, zu fallen, solange wir wieder aufstehen und weitermachen. Fallen wir als Dreissigjähriger bei unseren ersten Versuchen in die Selbstständigkeit hin, steht niemand da und klatscht. Wir werden auch nicht ermutigt, weiterzumachen. Ganz im Gegenteil: Man legt uns ans Herz, es auf keinen Fall noch mal zu versuchen, stattdessen aber einen Weg einzuschlagen, bei dem wir keinesfalls noch mal hinfallen, zum Beispiel in einer Festanstellung.
Irgendwo zwischen unserem fünften und achtzehnten Lebensjahr ändern wir unsere Einstellung Fehlern gegenüber. Wir adaptieren die Null-Fehler-Toleranz unseres Umfelds und fangen an zu glauben, dass Fehler etwas Schlimmes sind. Da die meisten Menschen so denken, fühlen wir uns in unserer Denkweise schnell bestätigt. Wären Fehler was Tolles und Nützliches, würde sie jeder gerne machen. Dabei machen wir in Wirklichkeit mit jedem Fehler einen Schritt in Richtung Erfolg, wenn wir richtig damit umgehen. Scheitern bedeutet in den meisten Fällen doch nur, dass wir aktuell einfach noch nicht gut genug sind. Nicht mehr und nicht weniger. Das heisst aber nicht, dass wir nicht gut genug werden können.
Europa: Keine Kultur des Scheiterns
Andere Länder sind, in Bezug auf das Scheitern und die Fehlertoleranz, wesentlich fortschrittlicher als wir in Europa. In den USA ist es normal, dass Projekte erst nach mehreren Misserfolgen zu einem Erfolg werden. Niemand muss sich hier für das Scheitern schämen. Vielmehr wird man für den Erfolg nach dem Misserfolg gefeiert. Es kann sogar jemand Präsident werden, obwohl er vorher von einem Misserfolg zum nächsten gegangen ist.
Bei uns in Europa, ganz besonders aber in der DACH-Region, ist das leider etwas anders. Wir müssen alles gleich im ersten Versuch schaffen. Ein zweiter Versuch schafft schon das «der bekommt auch nichts auf die Beine gestellt»-Image. Jeder Fehler ist der erste Schritt zum Scheitern. Deswegen unternehmen wir alles Menschenmögliche, gar nicht erst zu scheitern. Wenn wir schon Geldanlagen tätigen, dann am liebsten in Sparbüchern und Tagesgeldkonten. Ein Blick in die Politik genügt, um zu sehen, wie wir Fehlern gegenüber eingestellt sind. Wieder und wieder gewählt wird derjenige, der die geringste Fehlerquote verspricht. Dabei machen es uns die Amerikaner im Silicon Valley vor. Im bedeutendsten Standort der IT- und Hightech-Industrie weltweit, wird ein Weltunternehmen nach dem anderen hervorgebracht. Dort wird einfach mal gemacht. Es wird experimentiert, ohne zu wissen, was erfolgreich werden wird und was nicht. Fehler sind erlaubt. «Trial and error (Versuch und Irrtum)» heisst hier das Motto, was vielmehr eine Erfolgsstrategie ist, als ein Motto. Nichts gegen Sicherheit, aber wir müssen uns davon lösen, alles auf Nummer sicher machen zu wollen, mit dem geringsten Risiko des Scheiterns.
Haben Sie Mut zu scheitern
Wer sich von der Angst vor einem Fehlschlag abhalten lässt etwas zu machen, der ist bereits gescheitert, bevor er überhaupt begonnen hat. Diese ständige Angst der Menschen davor Fehler zu machen. Es ist doch schon ein Fehler, keine Fehler machen zu wollen. Es gibt Menschen, die verschwenden ihr ganzes Leben beim Versuch, keine Fehler zu machen. Wir müssen uns einfach mal erlauben, nicht perfekt zu sein. Meiner Meinung nach liegt der schlechte Ruf des Scheiterns an unserem Massstab der Perfektion. Einen Massstab, den wir uns selbst auferlegen. Perfektion ist bestens geeignet, um fehlerlos unterzugehen. Wer glaubt, in allem perfekt zu sein, der hört auf sich zu entwickeln.
Das Schlimme dabei ist, dass wir in Wirklichkeit keine Angst davor haben zu scheitern oder Fehler zu machen. Wir haben Angst davor zu versagen und hinter der Angst zu versagen steckt eigentlich nur die Angst vor Ablehnung. Es ist die Angst davor, was andere über uns sagen oder denken, sollten wir etwas falsch machen oder nicht schaffen. Ich weiss nicht, wie es Ihnen geht, aber ich finde es toll und befreiend, sich selbst zu erlauben nicht perfekt zu sein, denn dann dürfen wir Mensch sein. Dazu gehört es eben auch Fehler zu machen.
Dieser Artikel erschien zuerst in der gemeinsamen Publikation vom KONSUMER und dem SKV-Verbandsorgan ERFOLG (Heft Nr. 02/03 2020). Sponsored by: www.markusczerner.de