Graubereich Praktikum
Viele werden nur ausgenützt

Um praktische Arbeitserfahrung zu gewinnen, absolvieren viele junge Menschen auf ihrem Weg in die Berufswelt ein oder sogar mehrere Praktika – nicht immer unter fairen Rahmenbedingungen.
Vor nicht allzu langer Zeit stellte der Journalist Martin Stolz in einem Artikel für «Die Zeit» fest, dass Hochschulabsolventen in Deutschland in Praktika abgedrängt und als billige Arbeitskräfte ausgenutzt werden. Er nannte sie die «Generation Praktikum».
Auch in der Schweiz finden Hochschulabsolventen nach dem Studium oft nicht sofort eine Festanstellung. Im schlimmsten Fall absolvieren sie einen Praktikumseinsatz nach dem anderen. «Das Hauptproblem liegt im Missbrauch: Einsätze mit zu wenig Lerngewinn, wo innert kürzester Zeit Routinearbeit verrichtet werden soll. Auch werden Praktikant/innen nicht selten wie regulär beschäftigte Arbeitskräfte eingesetzt.», erklärt Gabriel Fischer, Leiter Wirtschaftspolitik von Travail Suisse. «Wir stellen zudem fest, dass oftmals sogenannte Einsteigerstellen durch Praktikumsplätze ersetzt werden. In solchen Fällen ist aus unserer Sicht der tiefe Praktikantenlohn missbräuchlich und es liegt eine Lohnunterbietung vor.»
Die Löhne variieren stark je nach Qualifikation, Bildungsstand und Branche, in der man sich bewirbt: Zwischen einigen hundert Franken vor der Lehre und bis zu 4000 Franken nach einem Masterstudium.
«Die meisten Probleme gibt es im Bereich der Kinderbetreuung, wo ohne Praktika meist gar keine Lehrstelle gefunden werden kann, teilweise im Gesundheitswesen und in der Hotellerie sowie bei oftmals gänzlich unbezahlten Einsätzen in internationalen oder gemeinnützigen Organisationen», erläutert Fischer. Christine Flitner, Zentralsekretärin des VPOD, sind die Missbräuche im Betreuungsbereich ebenfalls ein Dorn im Auge: «Da Praktika in Betreuungsberufen seit der Einführung des Eidgenössischen Fähigkeitszeugnis als Fachperson Betreuung (FaBe) nicht mehr Teil der Ausbildung sind, lehnen wir diese grundsätzlich ab. Leider sind sie nach wie vor sehr verbreitet. Viele junge Leute machen in der Hoffnung auf eine Lehrstelle ein oder mehrere Jahrespraktika. Die Betriebe kalkulieren mit dieser Notsituation der Ausbildungswilligen, die faktisch als unausgebildete, unterbezahlte als volle Arbeitskräfte eingesetzt werden. Diese Art der Vorpraktika müssten untersagt werden. Zumindest dürften Betriebe, die damit arbeiten, keine öffentlichen Subventionen erhalten.»
Interview mit Lukas Kohler vom Laufbahnzentrum Stadt Zürich:
Herr Kohler, welche Bedingungen sollte ein Praktikum erfüllen?
Als erstes müssen Sinn und Zweck geklärt werden. Es braucht klare und überprüfbare Lernziele, sowie die Begleitung durch eine kompetente Betreuungsperson. In der Regel sollte ein Praktikum nicht länger als sechs Monate dauern.
Wann macht ein Praktikum überhaupt Sinn?
Wir müssen zwischen verschiedenen Formen unterscheiden. Es gibt erstens die sogenannten unabhängigen Praktika, die nicht in direktem Zusammenhang mit einer Ausbildung stehen, als Überbrückung bis zum Beginn einer Ausbildung dienen oder im Anschluss an eine Ausbildung
absolviert werden. Zweitens, gibt es das Vorpraktikum, welches eine Voraussetzung für die Zulassung zu bestimmten Schulen darstellt. Dann gibt es noch die Ausbildungspraktika, die ein wichtiger Bestandteil der Ausbildungen sind. In diesen Fällen werden die Einsätze meist von den Schulen in Zusammenarbeit mit den Institutionen organisiert, vergeben und betreut.
Wie bewerten Sie die unterschiedlichen Praktikumsangebote in der Schweiz?
Bei den Vorpraktika müssen die Vorgaben der Schulen unbedingt mit dem Arbeitgeber besprochen werden. Die Ausbildungspraktika sind in der Regel klar konzipiert. Seit einigen Jahren bieten grössere Firmen auch immer häufiger sehr gut strukturierte Praktika für Gymnasiasten an, wo sie erste wertvolle Einblicke in die jeweiligen Firmen erhalten. Die grössten Probleme tauchen im Zusammenhang mit den unabhängigen Praktika auf. Jungen Leuten, die noch vor der Lehre ein Praktikum absolvieren möchten, raten wir zur Vorsicht. Wann immer möglich, sollte man ein unabhängiges Praktikum im Rahmen eines Brückenangebotes absolvieren, da dann die Rahmenbedingungen besser überwacht werden.
Lukas Kohler arbeitet als Berufs-, Studien- und Laufbahnberater im Laufbahnzentrum der Stadt Zürich.