Leiden Sie am Zappelphilipp Syndrom?
Ritalin die Psycho Wunderpille?


Kinder, Jugendliche- aber auch junge Erwachsene mit dem Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom, (ADHS) leiden unter einer ausgeprägten Bewegungsunruhe mit starkem Aktivitätsdrang, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen, sowie impulsivem und unüberlegtem Verhalten. Das Syndrom kann auch ohne Hyperaktivität vorkommen.
Wie oft kommt das ADHS vor?
Die Angaben zur Häufigkeit von ADHS schwanken zum Teil erheblich. Experten schätzen, dass ein bis sieben Prozent der Kinder und Jugendlichen zwischen vier und 17 Jahren Merkmale einer Aufmerksamkeitsstörung zeigen. Jungen sind etwa drei- bis achtmal häufiger betroffen als Mädchen. Bei Mädchen fehlt oft die Hyperaktivität. Symptome des ADHS können vom Vorschul- bis ins Erwachsenenalter auftreten.
Wodurch wird ADHS verursacht?
Nach heutiger Auffassung ist das ADHS Resultat einer Funktionsstörung im Bereich der Informationsverarbeitung zwischen einzelnen Hirnabschnitten. In speziellen Gehirnabschnitten, die für Aufmerksamkeit, Konzentration und Wahrnehmung verantwortlich sind, ist der Stoffwechsel herabgesetzt.
Da häufig auch andere Familienmitglieder ähnliche Auffälligkeiten zeigen, ist eine erbliche Veranlagung wahrscheinlich. Leidet ein Elternteil an ADHS, haben die Kinder ein Erkrankungsrisiko von 20 bis 40 Prozent.
Man vermutet, dass mehrere Gene an der Krankheitsentstehung beteiligt sind. Risikofaktoren sind darüber hinaus zum Beispiel Komplikationen während Schwangerschaft und Geburt, zu niedriges Geburtsgewicht oder Erkrankungen von Gehirn und Rückenmark. In manchen Fällen spielen auch Nikotin-, Alkohol- oder Drogenmissbrauch der Mutter während der Schwangerschaft eine Rolle. Vermutlich begünstigen diese erworbenen Auslöser, dass ADHS entsteht, wenn eine genetische Veranlagung vorliegt.
ADHS – nicht nur für die Kinder eine Belastung
Die Erkrankung ist nicht, wie früher oft behauptet, Folge falscher Erziehungsmethoden. Allerdings kann das Verhalten des Umfelds den Verlauf der Erkrankung beeinflussen.
Symptome wie starke Bewegungsunruhe und Ablenkbarkeit sind für das soziale Umfeld – insbesondere für die Eltern – oft sehr belastend und führen häufig zu Überforderung.
Zunehmend fordern Forscher besonders für betroffene Kinder eine konsequente Erziehung mit Belohnung von erwünschtem Verhalten und Sanktionierung von negativen Verhaltensweisen. Einige Forscher vermuten, dass auf diese Art bei manchen Kindern Medikamente verzichtbar wären.
Appelle an das Kind, sich zusammenzureissen und in der Schule bessere Leistungen zu erbringen, setzen die Kinder meist noch mehr unter Druck. Da die Symptomatik in Stress- und Belastungssituationen verstärkt auftritt, kann es so zu weiteren Schul- und Verhaltensproblemen kommen. Ein Teufelskreis entsteht, der für die betroffenen Kinder und ihr Umfeld nur schwer zu durchbrechen ist.
Wie äußert sich die Erkrankung?Folgende Symptome (Hauptsymptome) können beim ADHS auftreten:
- Unaufmerksamkeit:
- Die Konzentrationsfähigkeit ist stark vermindert; Tätigkeiten werden früh abgebrochen und oft gewechselt; Einzelheiten nicht beachtet, Anweisungen nicht vollständig ausgeführt. Das Kind hat Mühe, Aufgaben und Tätigkeiten planvoll abzuwickeln, wird leicht durch unwesentliche Reize abgelenkt. Selbst Fernsehen ist nicht möglich.
- Hyperaktivität: Das Kind ist immer in Bewegung, zappelt mit Händen oder Füssen, windet sich auf dem Stuhl, rennt herum und redet übermässig viel.
- Impulsivität: Das Kind platzt mit Antworten heraus, ehe Fragen komplett gestellt sind. Es unterbricht und stört andere beim Reden.
Weitere typische Symptome sind:
- Unruhe
- Ungeduld
- Exzessives Sprechen und häufiges Unterbrechen anderer
- Spezifische Lern- und Leistungsstörungen
Oft finden sich auch:
- Ausgeprägte Störungen des Sozialverhaltens
- Angst
- Depressivität
- Früher Konsum von Suchtmitteln
Andererseits sind die betroffenen Kinder auch besonders hilfsbereit, sehr kreativ und begeisterungsfähig und haben viele Ideen. Oft haben sie einen starken Gerechtigkeitssinn. Die Hauptsymptome können in den einzelnen Altersstufen unterschiedlich ausgeprägt sein und bestehen teilweise im Erwachsenenalter fort.
Wie lässt sich die Erkrankung feststellen?
Eltern sollten auffällige Kinder einem Arzt vorstellen. Er befragt die Eltern über Vorerkrankungen und die Entwicklung des Kindes. An eine gründliche körperliche und neurologische Untersuchung schließen sich psychologische Tests an, welche die Konzentrationsfähigkeit und das Lernvermögen des Kindes prüfen sollen.
Daneben werden auch Beobachtungsbögen eingesetzt, anhand derer die Eltern zu Hause dokumentieren, wann und in welcher Art und Weise ADHS-Symptome im Alltag vorkommen.
Durch weitere Untersuchungen des Stoffwechsels (zum Beispiel Schilddrüsen-, Nieren-, Leberwerte, Blutzucker), der Gehirnstrukturen und Gehirnströme werden mögliche andere Krankheitsursachen geprüft. Eine Fehlsichtigkeit oder eine Hörstörung, die Aufmerksamkeitsstörungen bedingen können, sind ebenfalls auszuschliessen.
Bestimmte psychische und neurologische Erkrankungen können mit einem ähnlichen Krankheitsbild verlaufen. So sind zum Beispiel Lese-Rechtschreib-Schwächen, Psychosen, Epilepsie und Autismus auszuschließen.
Was kann man gegen ADHS tun?
Um das Verständnis für das Kind und die Krankheit zu erhöhen, ist es wichtig, Eltern, Erzieher und Lehrer über die Erkrankung ausführlich zu informieren. Die Aufklärung soll ebenso dazu dienen, Kinder und Eltern von möglichen Schuldgefühlen zu entlasten.
In Beratung und Therapie sind neben den behandelnden Ärzten unter anderem auch Psychologen, sozialpädiatrische Zentren sowie Kinderpsychiater involviert. Mit ihrer Hilfe können auch spezielle Fördermassnahmen, ein regelmässiger Tagesablauf und Verhaltensregeln geplant werden.
Ratsam ist, dass die Eltern gemeinsam mit dem Kind feste Regeln aufstellen und konsequent darauf achten, dass es diese einhält. Die Regeln sollten das Kind nicht überfordern, so dass es Erfolgserlebnisse haben kann. Übermässiger Bewegungsdrang lässt sich mitunter durch intensive sportliche Betätigung und den Wechsel von aktiven Phasen und Ruhephasen regulieren.
Je nach Alter des Kindes und Ausprägung der Krankheitszeichen sind weitere Massnahmen erforderlich, um die Aufmerksamkeit und Unruhe der Kinder und damit ihre soziale Integration zu verbessern. Möglich sind hier Elterntraining und Spieltherapie bei Vorschulkindern, Familientherapie und soziales Kompetenztraining im Schulalter.
Eltern lernen in Schulungen, das Kind gezielt zu belohnen, wenn es sich richtig verhält – zum Beispiel, wenn es sich auf die Hausaufgaben konzentriert hat. Durch die Belohnung stellen sie das richtige Verhalten in den Mittelpunkt, nicht mehr das problematische. So unterbrechen sie einen Teufelskreis. Er entsteht, wenn Eltern von ihrem Kind verlangen, sich mehr anzustrengen, wenn es sich problematisch verhält.
Dieser Druck verstärkt oft das Problemverhalten, statt es zu verringern. In einem speziellen Training erlernen die Kinder, wie sie ihre Aufmerksamkeit erhöhen und ihr eigenes Verhalten sowie Alltagssituationen besser einschätzen können, um angemessen zu reagieren.
Leidet das Kind unter starker Ängstlichkeit oder Depressionen, beeinflusst dies möglicherweise die psychische Entwicklung des Kindes oder das familiäre Zusammenleben nachhaltig. In diesem Fall ist eine zusätzliche Therapie durch den Kinder- und Jugendpsychiater beziehungsweise -psychotherapeuten anzuraten. Liegen Wahrnehmungsstörungen oder Schwächen in der Feinmotorik vor, ist eine Ergotherapie sinnvoll.
Mitunter empfiehlt sich eine medikamentöse Therapie, meist mit sogenannten Stimulanzien wie Methylphenidat(Ritalin), die eine Steigerung der Konzentrationsfähigkeit und eine bessere Kontrolle des übermässigen Bewegungsdrangs bewirken. Studien weisen darauf hin, dass Methylphenidat auch bei Drei- bis Fünfjährigen wirksam ist und in diesem Altersbereich niedrige Dosen wirkungsvoll sein können, dass vorsichtiger dosiert werden sollte und die Nebenwirkungsrate (emotionale Labilität, Weinerlichkeit) erhöht ist.
Das Mittel der ersten Wahl sind Medikamente, die das gestörte Botenstoffsystem verbessern oder normalisieren. Die medikamentöse Behandlung ist die Voraussetzung für alle weiteren möglichen oder erforderlichen Therapien. Auch eine psychotherapeutische Behandlung als erste Massnahme ist sinnlos, da sie die Störung im Botenstoffsystem, die die Ursache für alle Symptome der betroffenen Kinder ist, nicht beseitigen kann, was durch Untersuchungen in den USA bewiesen werden konnte. Als Begleitbehandlung ist sie jedoch oft erforderlich und kann dann viel Gutes leisten. Auch Ergotherapie, Logopädie und Heilpädagogik sind wichtige zusätzliche Therapien, um die schon entstandenen Defizite zu beheben.
Die Behandlung mit Ritalin
Es handelt sich dabei um Aufputschmittel, die die verminderten Botenstoffe im Gehirn anheben oder normalisieren und damit die Informationsflut eindämmen und die Kinder beruhigen. Dieser Mechanismus erklärt die als paradox imponierende Wirkung der Stimulanzien. Die Medikation sollte den gesamten Tag umfassen und auch am Wochenende und in den Ferien nicht ausgesetzt werden, um eine normale soziale Entwicklung zu ermöglichen.
Methylphenidat (Medikinet R, Ritalin R) muss wegen seiner kurzen Halbwertszeit von zwei bis vier Stunden daher drei- bis fünfmal täglich zugeführt werden, damit eine gleichmässige Wirkung über den ganzen Tag gewährleistet ist. Maximal können Kinder eine Dosis von 1 mg pro Kilogramm Körpergewicht und Tag bekommen.
Bei Kindern, die kein ADS haben, kommt es unter Stimulanzien zu einer Vermehrung der stimulierenden Transmitter und damit künstlich zu den Symptomen eines hyperaktiven ADS mit Unruhe, Konzentrationsstörungen, Aggressivität, Impulsivität und Ideenflucht. Daher ist es nicht möglich, wie immer wieder behauptet wird, die Schulleistungen von Kindern, die nicht an einem ADS leiden, mit Stimulanzien zu verbessern. Die Nebenwirkungen des Medikaments wären bei diesen Kindern so stark, dass die Eltern es schon nach kurzer Zeit absetzen würden. Ausserdem würden die Kinder das Medikament verweigern, da sie sich aufgeputscht, unruhig und zittrig fühlen.
In der Produktinformation werden eine Unmenge möglicher Nebenwirkungen aufgeführt. Dies geschieht weniger zur Information des Patienten, sondern vorwiegend aus juristischen Gründen. Nach Trott (2000) ist kein anderes Medikament so gut und solide beforscht wie Methylphenidat. Außerdem werden in den USA sechs bis acht Prozent aller Kinder und Jugendlichen mit Stimulanzien behandelt.
Wären die Nebenwirkungen gravierend, so würde in den USA kaum ein Arzt Stimulanzien verordnen, da er sonst Regressforderungen in Millionenhöhe riskieren würde. Ein weiteres Indiz für die gute Verträglichkeit ist die Tatsache, dass in den USA zum Teil bis zu 7,5 mg/kg/KG gegeben werden (Keßler, 1996), also 7,5-mal mehr als unsere Maximaldosierung ausmacht. Nach Trott kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass Methylphenidat in mittleren Dosierungen (bis 1 mg/Kg/die) kaum Nebenwirkungen verursacht.
Seit einiger Zeit steht mit ConcertaR mit 18 und 36 mg ein Langszeitpräparat von Methylphenidat zur Verfügung, das etwa 12 Stunden abdeckt und einen großen Fortschritt in der Therpie bedeutet. Es ist jedoch nur für die Kinder geeignet, die eine entsprechende Dosis benötigen.
Diese Medikamente haben Nebenwirkungen und ihre Wirkzeit ist begrenzt. Daher sollen Stimulanzien nur eine Unterstützung zu weiteren therapeutischen Maßnahmen darstellen. Seit einiger Zeit gibt es auch Langzeitpräparate, die nur einmal täglich eingenommen werden müssen.
Wie ist die Prognose des Hyperaktivitäts-Syndroms?
Der behandelnde Arzt und der Therapeut beziehungsweise die Therapeuten passen die Therapie im Rahmen regelmäßiger Kontrolluntersuchungen der Entwicklung und dem Verhalten des Patienten an. Häufig ist eine Behandlung nur über wenige Jahre, bei einigen Menschen aber auch lebenslang erforderlich. Auf diese Weise lassen sich bei fast allen Kindern normale soziale Kontakte, eine qualifizierte Ausbildung und somit eine gute Lebensqualität erreichen.
Was bedeutet ADHS für junge Menschen in der Pubertät?
In der Pubertät kommt es zu Veränderungen, die der junge Mensch mit ADHS bewältigen muss. Die hormonelle Wandlung, die eigene und die Akzeptanz durch andere hat existenzielle Bedeutung. Diese Situation ist für einen Jugendlichen mit ADHS noch schwieriger als für andere Gleichaltrige. Erlernt der Betroffene keine Strategien, um diese schwierige Lebensphase mit den eigenen Bedürfnissen und Problemen in Einklang zu bringen, können sich Persönlichkeitsveränderungen und Störungen entwickeln, die die weitere Entwicklung negativ beeinflussen. Ist die Pubertät aber erst einmal überwunden, kommt es meist zu einer Besserung der Symptome.